Die Kritik von Arno Luik berührt einen wunden Punkt: die Angst vor Militarisierung, vor einer Gesellschaft, die ihre Kinder in Kriege schickt. Diese Sorge ist nachvollziehbar, gerade in der Weihnachtszeit, die traditionell mit Friedensbotschaften verbunden ist. Doch die Schlussfolgerung, deutsche Politiker wie Boris Pistorius, Roderich Kiesewetter oder Anton Hofreiter seien verantwortlich für eine vermeintliche „Kriegsbegeisterung“, geht fehl, verkennt die Realität unserer Lage und leistet russischer Propaganda Vorschub. Der Ursprung der Bedrohung liegt nicht in Deutschland, nicht in der NATO und auch nicht bei einzelnen Politikern, sondern klar und eindeutig in Russland, das seit Februar 2022 einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Dieser Krieg ist nicht nur ein Angriff auf ein Nachbarland, sondern ein Angriff auf die europäische Friedensordnung, auf Demokratie und Selbstbestimmung. Russland führt zudem einen hybriden Krieg gegen Europa, durch Desinformation, Cyberangriffe, Energieerpressung und gezielte Versuche, unsere Gesellschaften zu destabilisieren. Dabei ist die gegenstandslose Täter-Opfer-Umkehr eine billige wie wirkungsvolle russische Masche, um die Europäer gegen die eigenen Regierungen in Stellung zu bringen.
Verantwortungsbewusste Politiker tragen nicht die Schuld an dieser Lage. Sie reagieren auf eine Bedrohung, die von außen kommt. Ihre Aufgabe ist es, Deutschland und Europa verteidigungsfähig zu machen, nicht aus Lust am Militärischen, sondern aus Pflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Verteidigungsfähigkeit bedeutet nicht Kriegstreiberei, sondern die Fähigkeit, Aggressoren wie Putin klar zu signalisieren: Ein Angriff auf uns wird nicht gelingen. Wer heute von „Zeitenwende“ spricht, meint nicht die Abkehr vom Frieden, sondern die Einsicht, dass Frieden ohne Verteidigungsbereitschaft nicht zu haben ist. Unsere Demokratie, unsere Freiheit, unsere Art zu leben, all das ist bedroht, wenn wir nicht bereit sind, es zu schützen. Verteidigungsfähigkeit umfasst moderne Ausrüstung, Ausbildung, Bündnisfähigkeit und die Bereitschaft, im Ernstfall zu handeln. Gerade weil wir den Frieden bewahren wollen, müssen wir militärisch stark genug sein, um einen Angriff abzuwehren.
Anders als in Vietnam oder anderen historischen Konflikten geht es heute nicht um ideologische Stellvertreterkriege, sondern um die Verteidigung einer freien Gesellschaft gegen einen aggressiven Staat. Die Söhne und Töchter, die heute in Uniform dienen, tun dies nicht für „Wahn“ oder „Prestige“, sondern für die Sicherheit ihrer Familien, ihrer Städte, ihres Landes. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob man einen Angriffskrieg führt oder ob man sich gegen einen Angriff verteidigt. Friedenslieder wie Reinhard Meys „Nein, meine Söhne geb ich nicht“ bleiben wichtig als Mahnung gegen Kriegstreiberei. Aber sie dürfen nicht dazu führen, dass wir die Realität verdrängen. Frieden braucht Schutz. Wer heute Verantwortung trägt, muss dafür sorgen, dass Europa nicht wehrlos ist. Das ist kein Verrat an der Bergpredigt, sondern der Versuch, das Leben und die Freiheit von Millionen Menschen zu bewahren.
Auch hier in Hamburg bedeutet die Zeitenwende, den Heimatschutz neu zu denken und konsequent zu organisieren. Dazu gehört nicht nur die militärische Verteidigungsfähigkeit im klassischen Sinn, sondern auch die Schaffung von Schutzräumen und Bunkerkapazitäten, die Vorbereitung auf mögliche Angriffe auf kritische Infrastruktur sowie die Stärkung der zivilen Resilienz. Heimatschutz heißt, die Bevölkerung im Ernstfall schützen zu können, durch funktionierende Warnsysteme, gesicherte Energie- und Wasserversorgung und die Fähigkeit, im Katastrophenfall schnell und koordiniert zu handeln. Gerade in einer Metropole wie Hamburg, mit ihrem Hafen, ihrer Industrie und ihrer internationalen Bedeutung, ist dies eine zentrale Aufgabe. Deshalb werden auch großangelegte Übungen wie Red Storm Alpha (2024) und Red Storm Bravo (2025) fortgesetzt, um die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr, Polizei, Feuerwehr und zivilen Behörden zu trainieren und die Abläufe im Ernstfall zu perfektionieren. Diese Übungen zeigen, dass Heimatschutz nicht nur eine militärische, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.
Der Krieg in der Ukraine führt uns zudem drastisch vor Augen, wie entscheidend neue Kompetenzfelder für die Verteidigung geworden sind. Besonders die Abwehr von Drohnenangriffen hat sich als überlebenswichtig erwiesen. Drohnen werden dort täglich eingesetzt, um Infrastruktur zu zerstören, Truppen zu schwächen und die Zivilbevölkerung zu terrorisieren. Für Deutschland bedeutet das, dass Heimatschutz und Verteidigungsfähigkeit zwingend auch den Schutz vor solchen modernen Bedrohungen umfassen müssen, durch technologische Innovation, durch Ausbildung und durch die enge Verzahnung von militärischen und zivilen Kräften. Nur wenn wir diese Lektionen ernst nehmen, können wir sicherstellen, dass unsere Städte und unsere Bevölkerung im Ernstfall geschützt sind.
Es ist daher nicht nachvollziehbar, deutsche Politiker für die aktuelle Bedrohung verantwortlich zu machen. Die Verantwortung liegt bei Russland und seinem Präsidenten Putin. Europa, die NATO und damit auch Deutschland müssen dieser akuten Gefahr begegnen. Verteidigungsfähigkeit ist kein Widerspruch zum Frieden, sie ist seine Voraussetzung. Nur wenn wir bereit sind, unsere Demokratie und unsere Lebensweise zu verteidigen, können wir sicherstellen, dass Weihnachten auch künftig ein Fest des Friedens bleibt.
(Gastbeitrag erschienen im Hamburger Abendblatt vom 9. Dezember 2025)
